Der Begriff Wushu
Kung Fu, auch Gong Fu geschrieben, heißt nichts anderes, als hart und intensiv arbeiten, sorgfältig studieren. Es ist eigentlich die aus dem Kantonesischen entliehene westliche Bezeichnung für alle chinesischen Kampfsportarten, wird oft jedoch im Sinne der Hongkong-Filme für "Haudrauf"-Kampftechniken verwendet. Im Hochchinesischen ist alles Kung Fu, was harte, intensive Arbeit verlangt. Auch die Kampfkunst ist Kung Fu, harte Arbeit, aber man nennt sie Wu Shu, was soviel bedeutet wie aufhören zu kämpfen. Dabei wird deutlich, daß die Kampfkunst im Grunde dazu dient, die Auseinandersetzung zu vermeiden.

Die geschichtliche Entwicklung
Das Shaolin Kung Fu wird als ältestes systematisches Kampfsystem der Welt angesehen. Als Gründer wird der indische Mönch Bodhidharma betrachtet. Bodhidharma kam im 6. Jahrhundert n. Chr. nach China, um die Lehren des Chan (Zen) zu verbreiten. Er fand Aufnahme im Kloster Shaolin-Szu, welches im nördlichen China in der Provinz Honan liegt. Im Kloster Shaolin lebte er in Askese und Meditation. Die Legende erzählt, er habe sich neun Jahre in der Versenkung geübt, indem er ohne Unterbrechung auf eine seinem Meditationsplatz gegenüberliegende Wand starrte. Dort soll noch heute der Schatten Bodhidharmas zu sehen sein. Der über sechzigjährige Mann muß über eine außergewöhnlich gute Kondition verfügt haben, und die wenigsten seiner Schüler konnten die Meditationsübungen, die er lehrte, nachvollziehen, weil sie die geistige und körperliche Kraft dazu nicht besaßen.
Deshalb soll Bodhidharma ein System von Atemtechniken und gymnastischen Übungen erdacht haben, das anfänglich nicht so sehr den Aspekt der Selbstverteidigung betonte wie den der Körperübung. Seine Übungstechnik bestand der Überlieferung zufolge aus den zehn "Mönchsübungen" und den vierundzwanzig "Muskelspielen". Die "Mönchsübungen" waren in erster Linie gymnastische Bein-, Rumpf- und Armbewegungen, während die Mönche in den "Muskelspielen" lernen sollten, willentlich und vollkonzentriert einzelne Muskelpartien ihres Körpers unabhängig voneinander anzuspannen.
Nach Bodhidharmas Tod geriet sein System lange Zeit in Vergessenheit, bis im 13. Jh. n. Chr. ein Mann namens Chueh Yuan Priester im Shaolin-Tempel wurde. Er fügte weitere Übungen hinzu und bemühte sich um die Verbreitung des Shaolin Kung Fu. Da es inzwischen auch noch andere Shaolin-Kloster gab, wuchs die Popularität des Shaolin-Tempelboxens in China sehr schnell. Zu diesem Zeitpunkt kann man bereits eine verstärkte Betonung der Selbstverteidigung feststellen. Dies hing in erster Linie damit zusammen, daß die Insassen der neuentstandenen Klöster und Tempel ebenso wie die Wander- und Bettelmönche immer häufiger Opfer von Räubern und Wegelagerern wurden.
Von den politischen Wirren der nächsten Jahrhunderte waren auch oft die Mönche der Shaolin-Klöster betroffen. So wurde es unerläßlich, sich auch im Umgang mit Waffen zu üben. Dieses Training mit Schwert, Säbel, Messer, Lanze und Stock konnte nur im geheimen stattfinden, da nur Soldaten das Tragen und Benutzen von Waffen gestattet war.

Aktuelle Entwicklung
Mönche, die das Kloster verlassen hatten oder für den Kampf freigestellt wurden, oder Mitglieder ihrer Familien trugen die Wushu-Kunst nach draußen. Auf den parallelen Entwicklungen von bewaffnetem und unbewaffnetem Kampf beruht die heutige Vielzahl von Stilen, deren Anzahl auf 300-600 geschätzt wird, ihre Kombinationen untereinander auf ca. 2000.
Manche pflegte man nur innerhalb eines Familienclans oder einer Provinz, nach denen sie auch benannt wurden. Andere heißen nach Tierarten, deren Verteidigungstaktiken sie nachahmen. Wann sich diese Schulen, Richtungen, Geheimlehren und Systeme im einzelnen entwickelten und wer der jeweilige Urheber war, ist heute leider nur noch bei einigen Kung Fu-Richtungen festzustellen.
Die anderen Kampfkünste Asiens, Karate und Taekwondo eingeschlossen, haben alle den gleichen Ursprung - chinesisches Wushu. So bedeutet das Wort "karate" ursprünglich nichts anderes als "chinesische Hand". Im heutigen China ist das Shaolin-Kloster mehr eine Touristenattraktion als ein funktionierendes Mönchskloster. Die Shaolin Wushu-Schule, die 1982 gegründet wurde, beherbergt nun an die 600 Studenten, die aus allen Teilen des Landes kommen. Nur ein kleiner Prozentsatz der Mönche trainiert noch im Kloster.
In den letzten Jahren war es den Mönchen wiederholt erlaubt, China zu verlassen und in aller Welt durch atemberaubende Vorführungen für das Wushu und den Buddhismus zu werben, wobei letzteres für die meisten Aktiven außerhalb Asiens von eher untergeordneter Bedeutung ist. Dabei zeigten sie auf den vielen Kampfsportlern bekannten Budo-Galas nur einen kleinen Teil ihres Könnens. In mehreren anderen Veranstaltungen jedoch wurde in einem zweistündigen Programm ein Feuerwerk von schier unglaublichen Fähigkeiten präsentiert. Dabei stellten die Mönche bei der Vorführung mehrerer Wushu-Stile ihre absolute Körperbeherrschung unter Beweis. Das Zerschlagen von armdicken Holzstangen auf verschiedenen Körperteilen, das Gehen auf einer Treppe aus messerscharfen Klingen, das Ausbalancieren des Körpers auf einer Speerspitze oder das Verspeisen eines Trinkglases zeigten, zu welchen Leistungen der Körper nach langem, hartem Training fähig ist.
Konzentration und Entspannung, Kontrolle der Atmung, fließende Übergänge in den Bewegungen, höchstes Koordinationsvermögen, Kontrolle über den Gegner und die Anpassung an den Kampfrhythmus sind die Eckpfeiler der Wushu-Lehre.